> inhaltsverzeichnis > Heinz Dieter Pohl - Das Zeugnis der Ortsnamen |
Das Zeugnis der Ortsnamen Gemeinsames Leben hat in Kärnten eine mehr als 1000jährige Tradition und die Koexistenz zweier Sprachen spiegelt sich im Namenschatz unseres Bundeslandes eindrucksvoll wider. Auch Namen, die schon üblich waren, bevor ein Slawenfürst auf dem Zollfeld seine Herrschaft errichtete, leben weiter, wie z.B. der Name des Ortes, von dem aus dieser über seinen Machtbereich regierte: Carantum, eine auf dem keltischen Wort für „Stein, Fels“ beruhenden Benennung des heutigen Ortes Karnburg, der auf mittelhochdeutsch Chaerenpurch (wie auch die slowenisch-mundartliche Bezeichnung Karempurg) zurückgeht, was ein althochdeutsches (nicht bezeugtes) Charantapurch voraussetzt; der benachbarte Ulrichsberg führte früher den Namen Mons Carantanus. Nach diesem Ort wurde der hier siedelnde alpenslawische Stamm Carantani genannt, dessen Eigenbezeichnung nicht bekannt ist, aber aus Chorutane in der altrussischen Nestorchronik und Koronstane in altbulgarischen Quellen kann geschlossen werden, dass sie sich selbst Koront´ane genannt haben, was slowenisch Korocane ergeben hätte müssen und im Adjektiv koroski (aus koroc-ski) „kärntnerisch“ (davon auch Koroska „Kärnten“ und korosec „Kärntner“) weiterlebt. Die ältesten Namen sind im allgemeinen die Gewässernamen. Die Namengebung fast aller größeren Flüsse und Bäche reicht in die keltische oder vorkeltische Zeit zurück, weist aber slawische Vermittlung auf, so Dravus, eigentlich „Flusslauf“ bedeutend, wurde über slow. Drava zu dt. Drau (mundartlich Traa oder Trage) oder Albanta „weißer Fluss“ über alpenslaw. Labanta zu dt. Lavant, slow. Labota (oder Labotnica). Oft liegen Namenpaare vor: der größere Wasserlauf ist das Grundwort, der kleinere von diesem mittels eines Diminutivsuffixes abgeleitet, z.B. Gurk und Görtschitz (aus alpenslaw. bzw. slow. Krka und Krcica, lautnachahmend „die Gurgelnde“) oder Möll und Mallnitz (aus slow. Molna und alpenslaw. Malnica mit älteren -a- statt – o-, zum vorkeltischen, „illyrischen“ Wort mal „Berg“). Görtschitz und Mallnitz sind also „die kleine Gurk bzw. Möll“ – ein beliebtes slawisches bzw. slowenisches Muster, das auch anderswo vorkommt. Die historische Kernlandschaft unseres Bundeslandes ist das Zollfeld. Beim Fürstenstein in Karnburg fand die feierliche Herzogeinsetzung statt, die in den Quellen des 13. und 14. Jahrhunderts beschrieben wird, denen zufolge ein Edling (der „Herzogbauer“), nachdem er als Repräsentant des Volkes den neuen Fürsten „in windischer Rede“ auf seine Eignung zum Herrscher und auf seinen christlichen Glauben geprüft hat, dem Herzog symbolisch die Herrschaft übertrug, indem er den Stein freigab. Die Herkunft dieser Zeremonie ist unklar, dennoch widerspiegelt sie die Integration des Kärntner Slawentums, was auch in mehreren Ortsnamen rund um Fürstenstein und Herzogstuhl zum Ausdruck kommt. Das Dorf, in dem der „Herzogbauer“ seinen Wohnsitz hatte, heißt Blasendorf, slow. Blazna oder Vaznja ves, d.i. „Dorf“ des blag (des Richters, Verwalters, Edlings)“. In der Nähe des Herzogstuhles liegt die Ortschaft Rotheis, d.i. slow. Rotisce „Schwurstätte“, neben Karnburg, einst tatsächlich eine „Burg“, liegt Sagrad „Hinterburg“, und einige Ortsnamen enthalten slawische Personennamen (z.B. Gersdorf, Möderndorf, Wutschein) oder topographische Bezeichnungen (z.B. Pörtschach am Berg, aus dem slow. Lokativ porecah „bei den Bachanwohnern“, zu slow. reka „Bach, Fluß“ oder Preilitz aus slow. prevalica zu preval „Bergübergang, -rücken, sattel“). Der Berg, auf dem sich die berühmte Burg Hochosterwitz befindet, ist urkundlich bereits 860 als Astaruuzia belegt, d.i. frühes alpenslaw. astravica statt jüngerem ostrovica, etwa „Scharfenberg“, zu slow. oster „scharf, spitz“, ein Wort, das auch sonst in der Bergnamengebung oft begegnet, z.B. Oistra, d.i. slow.-mundartl. ojstra (gora) „scharfer, spitzer Berg“, Osternig oder Oisternig, auch slow.-mundartl. Ojstrnik, oder der Gipfel des Hochobir heißt slow. Ojstrc, beide am besten als „Spitz“ zu übersetzen. Der gleiche Wortstamm liegt auch den Ortsnamen Ostriach (bei Ossiach, nach einem abgekommenen Bergnamen so benannt) und Nostra (im Lesachtal) zugrunde. Besonders häufig in der Namengebung ist das slow. Wort gora „Berg“, (auch:) Wald“. So weist der mehrmals vorkommende Ortsname Göriach auf Einwohnernamen hin, etwa „bei den Bergern“, Lokativ zu den slow. Einwohnernamen Gorjani oder Gorje; der „kleine Berg, Bichl“ heißt auf Slowenisch gorica, und als Ortsname „bei den Bichlern“ erscheinen im Deutschen wiederum auf dem slow. Lokativ beruhende Namensformen wie Goritschach und Görtschach (von slow. Gorice bzw. Goricani). Oft ist das slow. Wort gora in der deutschen Namensform nicht mehr erkennbar, so bedeutet Mieger „Zwischenbergern“ (slow. Medgorje) und Sagerberg ist streng genommen ein Pleonasums, denn Sager allein bedeutet schon „Hinterberg“ (slow. Zagorje). Der prozentuale Anteil slowenischer Ortsnamen ist schwankend. Einen hohen Anteil von Namen slowenischer Herkunft haben z.B. die (alten) Gerichtsbezirke Obervellach, Hermagor und Ferlach (über 50%), einen etwas niederen Gmünd, Friesach und Wolfsberg. Bezirksweise kann der Anteil von Ortsnamen slawischen Ursprungs von 20-57%, der deutschen Ursprungs von 40-78% schwanken. Dies zeugt von der ethnischen Durchmischung im mittelalterlichen Kärnten, was dazu geführt hat, dass es rein deutsch bzw. slowenisch benannte Regionen nicht gibt. Das Nebeneinander von deutsch und slowenisch benannten Ortschaften lässt eine friedliche Koexistenz beider Sprachvölker vermuten und beweist darüber hinaus, dass Kärnten schon immer zweisprachig war – nur das zweisprachige Gebiet ist immer kleiner geworden und war schon seit Beginn der Neuzeit auf die südlichen Landesteile beschränkt. Noch vor rund 100 Jahren hatten das untere Gailtal sowie das Rosen- und Jauntal eine slowenischsprachige Mehrheit und auch einige nördlichere Regionen einen nicht geringen slowenischen Bevölkerungsanteil (z.B. der Ossiacher Tauern). Im Volksabstimmungsgebiet von 1920 hatten bei der Volkszählung im Jahre 1910 nicht ganz 70% der Bevölkerung Slowenisch als Umgangssprache angegeben, aber trotzdem entschieden sich am 10. Oktober 1920 60% für den Verbleib bei Österreich, dies bedeutet, dass viele Slowenischsprachige einem gemeinsamen Kärnten, also der Beibehaltung des status quo den Vorzug gaben. So nüchtern und frei von nationalen Emotionen kann man das Ergebnis des Plebiszites auch sehen: jede zweite Stimme für ein ungeteiltes Kärnten wurde von einem Slowenischsprachigen abgegeben! Zeugen für die friedliche Koexistenz beider Sprachvölker sind auch die Übersetzungen von Ortsnamen aus einer Sprache in die andere von alters her, so entspricht stets einem slow. Dob („Eiche“) ein dt. Aich, einem slow. ves ein dt. -dorf (z.B. slow. Psinja ves = dt. Hundsdorf, von slow. pes „Hund“). In heute rein deutschen Gebieten gibt es oft zwei gleichbedeutende Ortsnamen, wobei der eine deutscher, der andere slowenischer Herkunft ist, z.B. Laas bei Kötschach-Mauthen, benachbart ist Kreuth, beides bedeutet „Rodung“ (slow. laz, dt. Geräute). Oft sind heute rein deutschsprachige Orte urkundlich in ihrer slowenischen Namensform belegt, z.B. Niederdorf (bei Hörzendorf, 993 Podinawiz, Podnja ves zu lesen, was einem modernen slow. Spodnja ves entspräche). Viele slowenische Namen für Ortschaften des gemischtsprachigen Gebietes tragen herkunftsmäßig deutsche Bezeichnungen, wie z.B. Grabstanj „Grafenstein“ oder Pliberk „Bleiburg“ oder beruhen auf deutschen Lehnwörtern (wie slow. Poden „Bodental“ oder Sajda „Schaidasattel“, zu dt. Boden bzw. (Wasser-Scheide). Nicht akzeptabel sind aber Übersetzungen aus neuerer Zeit und schriftsprachliche Korrekturen. Warum muss z.B. der Kosiak (slow. Kozjak) auf Landkarten immer mehr einem (gleichbedeutenden) Geißberg weichen? Und war es notwendig, im Slowenischen Ajblhof („Eiblhof“) durch Ovcjak zu ersetzten? Manche Verdeutschungen (z.B. Ferlacher Horn für Harlouz aus slow.-mundartl. Harlovc, schriftslow. Grlovec; der Bauer am Fuße des Berges in Waidisch führt den Hofnamen Herlotschnik) und Slowenisierungen (z.B. Zabnica statt Poden „Bodental“ nach einem Vorbild, wo tatsächlich ein solches Namenpaar vorlag) werden kaum „abgeschafft“ werden können. Auch Übertragungen in die Schriftsprache sollten vermieden werden: Villacher Alpe (statt Alm) und Sillebrücke (statt –brucken) sind ebenso wenig bodenständig wie die Dorf-Namen mit slow. vas statt mundartl. ves. Ortsnamen sind historisch gewachsen und in ihnen kommen regionale Geschichte und Mundart zum Vorschein, die man nicht am Schreibtisch „korrigieren“ sollte. Dies gilt nicht nur für die Ortsnamen des zweisprachigen Gebietes, sondern ganz allgemein. Der Fremdenverkehr (nicht nur dieser) hat schon wiederholt in den Namenschatz eingegriffen und „neue“ Namen dekretiert, z.B. Mölltaler Gletscher (statt Wurtenkees) und Sportgastein (statt Nassfeld). Auf der gleichen Ebene liegen auch Bezeichnungen wie Märchenwiese (slow. Mlaka, Lokativ mundartl. mua´ah) und Dreiländereck. In historisch gewachsenen zweisprachigen Regionen hat jede auch noch so kleine Örtlichkeit zwei Namen unbeschadet der Herkunft des Namens: je einen in jeder der beiden Sprachen. So ist Ferlach zwar slowenischer Herkunft, aber die deutsche Namensform für slow. Borovlje und umgekehrt slow. Pliberk zwar deutscher Herkunft, aber die slowenische Namensform für dt. Bleiburg. Die Namen Mala ves/Kleindorf und Kot/Winkel übersetzen einander gegenseitig, schließlich sind slow. Zihpolje und dt. Maria Rain verschiedene Benennungen für ein und denselben Ort, und die slow. Namensform beruht auf urkundlich 1200 Sichpuchl, 1552 Seichbichl, d.i. „feuchter Bichl“ (auch Seigbichl östlich von Moosburg heißt auf Slowenisch Zihpolje). Gerade die beiden Bespiele Maria Rain / Zihpolje und Niederdorf (alt Podnja ves) zeigen, wie beide Sprachen in der Namengebung ineinander übergehen. Beide, Deutsch und Slowenisch (und seine Vorstufe Alpenslawisch), haben die Kärntner Namenlandschaft nachhaltig geprägt und dem Lande einen unverwechselbaren Stempel aufgedrückt (vergleichbar ist etwa das romanische Element in Tirol und Vorarlberg; in Teilen von Südtirol und im Schweizer Kanton Graubünden besteht eine ganz ähnliche deutsch-ladinische Zweisprachigkeit und gegenseitige Durchdringung wie im zweisprachigen Kärntner Unterland). Daher gehören beide Sprachen untrennbar zum historischen Erbe der Region und sind auch Teil der historisch gewachsenen Kärntner Identität. Unter einem solchen Gesichtspunkt sollten spracherhaltende Maßnahmen sowie die zweisprachige Beschriftung von Ortstafeln, amtlichen Ortsverzeichnissen und auch Landkarten auf breitere Zustimmung und größeres Verständnis in der Bevölkerung stoßen, sind sie doch optisches Zeichen des gemeinsamen Lebens zweier Sprachgemeinschaften in der gemeinsamen Heimat Kärnten und sichtbar gemachte Toleranz. Kärnten war immer schon zweisprachig, nur der Personenkreis der zweisprachigen Einwohner ist kontinuierlich, seit rund 100 Jahren, sprunghaft kleiner geworden (siehe Karte.) Schon vor bald 400 Jahren sagte Megiser, Christalnick zitiernd: ‚Es haben sich die windischen Khärndter mit den deutschen Khärndtnern also gewaltiglich vereinigt, das aus ihnen beyden einerley volck ist geworden.“ Dieses „einerlei Volk“ hörte in der zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts auf zu existieren; an der Schwelle zum industriellen Zeitalter wurde den neuzeitlichen Karantanen plötzlich klar, dass sie zwei Sprachen sprechen, und es ereignete sich eine Art Zellteilung; aus den Kärntner waren Deutsche und Slowenen geworden, sicher kein historisches Unglück, eher das Gegenteil, denn ohne Entwicklung eines gemeinsamen ethnischen Bewusstseins aller Slowenischsprachigen in den damaligen Kronländern Krain, Steiermark, Küstenland und Kärnten, hätte die slowenische Sprache kaum eine Chance gehabt, sich gegenüber dem allmächtigen Deutschen zu behaupten. Aber es entstand ein ungeheures Konfliktpotential, das bis heute nachwirkt. Die für unser Thema wesentliche Fakten umfassen vier Punkte: 1. Kärnten hat seine Landeseinheit aus der Monarchie in die Erste Republik und weiter in die Zweite Republik herüberretten können, 2. in Kärnten leben zwei ethnische Gruppen, aus historischer Sicht Deutsche und Slowenen, und nur diese beiden (wobei die Zahl der Sprachslowenen wesentlich höher ist als die der Bekenntnisslowenen [ob man die Differenz zwischen beiden „Windische“, „Assimilanten“, „deutschfreundliche Slowenen“ nennt, ändert nichts an den Tatsachen]); 3. das slowenische Element ist Teil der Kärntner Identität; 4. Kärnten ist heute trotz der geringen Zahl an Angehörigen der slowenischen Minderheit zweisprachig, denn das slowenische Element ist konstitutiv für Sprachlandschaft, Dialektologie und Namengebung. Gab es 1910 im Abstimmungsgebiet (Zone A) 68,6% Personen mit slowenischer Umgangssprache, haben zehn Jahre später nur 40% für den Anschluss an das neugegründete SHS-Königreich (Jugoslawien) gestimmt, d.h., mehr als ein Drittel der Slowenischsprachigen hat mit seiner Stimme ein Bekenntnis zu Österreich und somit auch zum ungeteilten Kärnten abgegeben. Dass sie damit auch ein Bekenntnis zum Deutschtum abgegeben haben, kann man daraus nicht schließen; sicher ist nur, dass sie am Abstimmungstag kaum daran gedacht haben, dass sie manche Politiker später zu „Windischen“ machen werden. Dieses Abstimmungsverhalten reflektiert das eigentliche Dilemma der Volksgruppe: sprachliche Zugehörigkeit ist nicht gleich ethnisches Bekenntnis – offensichtlich ein Begleitphänomen polyethnischer Staaten und polyglotter Gesellschaften (und somit Erbe aus der Monarchie). Mit der „Windischen-Theorie“ ist automatisch auch die Frage verknüpft, ob das „Windische“ etwa eine vom Slowenischen verschiedene Sprache sei. Weit verbreitet ist die Ansicht, die Sprache der „Windischen“, „Windisch“, sei eine deutsch-slowenische Mischsprache, die mit der „landfremden“ slowenischen Schriftsprache nichts zu tun habe – eine kühne Behauptung, ist es doch in zweisprachigen Regionen und Gesellschaften die Regel, dass die bodenständige Volkssprache von der überregionalen Staats – und/oder Verkehrssprache massenhaft Lehnwörter und Einflüsse bezieht. Entscheidend ist aber die Grammatik die Grammatik des „Windischen“ ist die slowenische, identisch sind auch Hilfswörter und Grundwortschatz. Ohne „Windisch“, den bäuerlich slowenischen Dialekt, wäre es kaum möglich, dass das Unterkärntner Deutsch einen slowenischen Touch erhalten hätte, und ohne Krainer Deutsch gäbe es kaum die Elemente deutscher Herkunft in der slowenischen Umgangssprache und auch Schriftsprache! Innerhalb von „slowenisch“ ist zu unterscheiden zwischen „alpenslawisch“ (Vorstufe des Slowenischen bis etwa 10. Jh.), „frühslowenisch“ (anschließend) und „slowenisch-mundartlich“ (seit dem ausgehenden Mittelalter im Kärntner slowenischen Siedlungsgebiet) sowie „schriftslowenisch“ (seit dem 19. Jh.). Statt „slowenisch-mundartlich“ wurde (und wird fallweise noch immer) in der germanistischen Literatur vielfach der Begriff „windisch“ verwendet (als Sammelbegriff für die Kärntner slowenischen Mundarten im Gegensatz zur einheitlichen, auf den Krainer Mundarten beruhenden Schrift- und Literatursprache); dieser Begriff ist aber obsolet geworden. (aus: Österreichische Namenforschung 15-16; 1987-1988) |
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