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Die Volksabstimmung 1920
und der Kärntner Landtag

 von Ralf Unkart 

Im Oktober/November 1918 zerfiel das Habsburger Reich. Am 11. November 1918 proklamierte die provisorische Landesversammlung das Selbstbestimmungsrecht der gemischtsprachigen Siedlungsgebiete Kärntens. Der slowenische Nationalrat in Laibach aber wollte vollzogene Tatsachen schaffen und ließ durch südslawische Truppen bereits im November und Dezember 1918 große Teile des Kärntner Grenzlandes besetzen. Die provisorische Landesversammlung beschloss am 5. Dezember 1918 den bewaffneten Widerstand. Der Kärntner Abwehrkampf wurde damit ausgelöst und hatte wegen seiner anfänglichen Erfolge und ungeachtet seiner schließlich erfolgten militärischen Niederlage weltweit Aufmerksamkeit erregt. Die Friedenskonferenz in Paris machte die endgültige Grenzziehung mit Ausnahme von Unterdrauburg, dem Mießtal und der Gemeinde Seeland, die von vornherein Jugoslawien zugesprochen wurden, von einer Abstimmung der Bevölkerung Südkärntens abhängig. Diese Abstimmungszone stand bis zum erfolgten Plebiszit unter militärischer Besetzung und Verwaltung Jugoslawiens.

Vor der Volksabstimmung am 10. Oktober 1920 hat die vorläufige Landesversammlung am 28. September 1920 folgende Entschließung, die sich vorwiegend an die Landsleute in der besetzten Abstimmungszone (Zone A) wendet, einstimmig angenommen:
Die stimmberechtigten Landsleute der Zone A sind mit dem übrigen Kärntner Volke durch die Geschlossenheit des Landes, durch die Gemeinsamkeit wirtschaftlicher Interessen, durch die Geschichte von vielen Jahrhunderten und durch die gemeinsame Kultur so ähnlich verbunden, dass das Zusammenleben der deutschen und slowenischen Bevölkerung Kärntens in der Frage der Unteilbarkeit des Landes zu einer Naturnotwendigkeit geworden ist.
Die vorläufige Landesversammlung, weit entfernt Methoden jugoslawischer Vergewaltigung und Willkür anzuwenden, vertritt als Grundsatz der zukünftigen Landespolitik die Politik der Versöhnung und der Gerechtigkeit.

Sie erklärt daher im Bewusstsein der verantwortungsvollen Stunde namens der von ihr vertretenen Bevölkerung, dass sie den slowenischen Landsleuten ihre sprachliche und nationale Eigenart jetzt und alle Zeit wahren will und dass sie deren geistigem und wirtschaftlichem Aufblühen dieselbe Fürsorge angedeihen lassen wird, wie den deutschen Bewohnern des Landes. Eine genaue Ausarbeitung dieser Grundsätze wird nach durchgeführter Wiedervereinigung mit den Vertretern der Kärntner Slowenen vereinbart werden.

Die demokratischen Grundsätze auf denen die Republik Österreich aufgebaut ist, bürgen übrigens dafür, dass der Wille der slowenischen Bevölkerung unverhüllt zum Ausdrucke kommen wird.

Der Kärntner Slowene wird daher auch innerhalb seines bisherigen Heimatlandes Kärnten die Bürgschaft für den Bestand seines nationalen Lebens und seines wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwunges vorfinden. In friedlicher Arbeit vereint, werden nach der Wiedervereinigung beide Volksstände Gelegenheit finden, wieder all jene Schäden gutzumachen, die ein langjähriger Krieg und eine zweijährige Besetzung größerer Landstriche durch ungebetene Eindringlinge verursacht hat.

Bei dieser Entschließung handelt es sich um eine politische Zusagen, deren Einlösung im Rahmen der Landeskompetenzen eine unverjährbare politische Verpflichtung darstellt. So haben es auch unmittelbar nach der für Österreich erfolgreichen Volksabstimmung die Repräsentanten der in Kärnten dominierenden politischen Gruppierungen (Deutsch-Freiheitliche, Sozialdemokraten, Christlichsoziale), nämlich der Landesverweser Dr. A. Lemisch und seine beiden Stellvertreter A. Neutzler und Dr. G. Frank, in einer „Kundmachung an die Bevölkerung des Kärntner Abstimmungsgebietes vom 19. November 1920“ zum Ausdruck gebracht:

Die Volksabstimmung in der Zone I des Kärntner Abstimmungsgebietes ist am 10. Oktober 1920 zugunsten Österreich ausgefallen, demnach sind der Bundesstaat Österreich und das Land Kärnten nach Einvernehmen mit dem Abstimmungsausschuss im Sinne des Art. 50 des Friedensvertrages von Saint-Germain-en-Laye berufen, ihre Gewalt wieder über das gesamte Kärntner Abstimmungsgebiet zu erstrecken. Mit der Übernahme der Verwaltung des Landes durch Österreich erlöschen auch die Befugnisse des interalliierten Abstimmungsausschusses und die ihm dadurch den Friedensvertrag überantwortete Gewalt. Der Abstimmungsausschuss hat mit seiner Proklamation am heutigen Tage die oberste Verwaltung im Abstimmungsgebiet an die österreichische und die Kärntner Regierung übergeben... Mit dem heutigen Tage fällt die letzte Unterscheidung zwischen hüben und drüben, die beiden Teile Kärntens, die durch die Geschichte von Jahrhunderten durch gemeinsame, von den Urvätern ererbte Kultur und durch stärkste wirtschaftliche Interessen auf das innigste miteinander verbunden sind, bilden wieder ein unteilbares Ganzes... In dem herrlichen Geist versöhnlicher Bruderliebe, in dem Ihr unseren Sieg errungen habt, geloben wir, dass wir eingedenk der feierlichen Kundgebung der provisorischen Landesversammlung von Kärnten vom 28. September 1920 und der Versprechungen, welche die Kärntner Regierung durch ihren bevollmächtigten Vertreter der Abstimmungskommission heute abgegeben hat sowie im Sinne der Bestimmungen des Friedens von Saint-Germain auch in Hinkunft allen nationalen Hader und jegliche Feindseligkeit aus dem Lande bannen wollen. In ehrlicher Aufrichtigkeit wird der Deutsche Kärntens seinem slowenischen Bruder entgegenkommen, auch seine sprachliche und völkische Einheit soll voll und ganz bewahrt bleiben.

Wie die Erfüllung der übernommenen Verpflichtung erfolgen sollte, darüber gab es allerdings nicht mehr volle Übereinstimmung. Am 25. November 1920 hielt der Landesverweser Dr. A. Lemisch in der provisorischen Landesversammlung eine Festansprache, in der er folgendes anführte:

Bei der Wiederaufrichtung der Heimat dürfen nicht jene 15.278 vergessen bleiben, die beim Plebiszit für den Anschluss an SHS stimmten. Wir glauben, dass davon wohl viele Tausende Verführte sind, die wir wieder zu Kärntnern zu machen haben. Klagen wir nicht, dass die Abstimmung in Kärnten nicht den gleichen Erfolg wie in Schleswig und Ostpreußen erreichte: dort waren keine serbischen Gendarmen, keine jugoslawischen Prügelgarden, keine balkanische Verwaltung; dort war auch Kirche und Volk aus einem Schlage. Nur ein Menschenalter haben wir Zeit, diese Verführten zum Kärntnertum zurückzuführen; in der Lebensdauer einer Generation muss das Erziehungswerk vollendet sein. Das werden nicht die Behörden und Regierungen machen können, das Kärntner Volk selbst muss es besorgen; Haus, Schule und Kirche müssen sich am Heilungswerke beteiligen. Ohne Künsteleien, ohne Druck hat sich bisher das Wort der Slowenen Urban Jarnik in die Tat umgesetzt, dass die Sprachgrenze in Kärnten in einem Jahrhundert um eine Meile nach Süden vorrückte und ohne Druck und ohne Künsteleien, nach Kärntnergebräuchen, muss auch dieses Kärntner Werk vollbracht werden. Was die öffentliche Gewalt hinsichtlich der Schule tun kann, wird sie tun, und zwar bei aller Rücksichtnahme auf die durch den Friedensvertrag geschützte Minorität. Was aber die Kirche hinsichtlich der Reinigung des öffentlichen Geistes beitragen kann, uns von jenem widerkärntnerischen Drucke zu befreien, in dem dem Lande so unheilvolle Wunden geschlagen, das muss die kirchliche Gewalt besorgen; wir können nur raten und fördern. Nicht die Göttin der Rache wollen wir anrufen, sondern die Friedensengel und dazu können wir nur Mittler brauchen, die auch Frieden und Eintracht verkünden. Die Kultur des deutschen Volkes hat Kärnten zur südlichen Mark gemacht. Die Kultur Mitteleuropas gegenüber südlicher Hyperkultur soll und wird es auch schaffen mitzuhelfen , dass Kärnten ungeteilt bleibt. Mit deutscher Kultur und Kärntner Gemütlichkeit wollen wir, wenn Schule und Kirche das ihre tun, in einem Menschenalter die uns vorgesteckte Arbeit geleistet haben.

Andererseits hat anlässlich einer Festsetzung des Kärntner Landtages zur Erinnerung an den Tag der Volksabstimmung, am 10. Oktober 1930, der 1. Präsident des Landtages J. Lukas ausgeführt:

Getreu dem Beschluss der vorläufigen Landesversammlung von Kärnten vertritt auch der Kärntner Landtag innerhalb der Landespolitik den Grundsatz der nationalen Versöhnung und Gerechtigkeit. Er ist bestrebt, den slowenischen Landsleuten ihre sprachliche und nationale Eigenart zu wahren und deren geistigem und wirtschaftlichem Aufblühen dieselbe Fürsorge angedeihen zu lassen wie den deutschen Bewohnern des Landes.


© zeitdokument / reinhard eberhart zum seitenanfang
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