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Einsprachigkeit
muss nicht erblich sein

 von Larissa Krainer

Max

Max Krainer wurde 1936 in ein zweisprachiges Umfeld geboren. In Sekull am Techelsberg verständigte man sich offenbar primär in der slowenischen Sprache, bis die deutsche Order das Slowenische verbot. Die Gasthäuser blieben leer, erzählte Max noch zu Lebzeiten, das Slowenische in diesen Tagen und den folgenden Jahren weitgehend ungesprochen – wenigstens in der eigenen Familie. So schnell geht das. Eine nicht vererbte Sprache ist vom Aussterben bedroht. Max hat die Sprache seiner Kindheit ein Leben lang verstanden, hat slowenische Zeitungen gelesen, gelegentlich auch slowenisch gesprochen – wenn auch nicht mit mir, der eigenen Tochter, so doch mit Luca, seinem Enkelsohn.

Larissa

Ich wuchs einsprachig auf, die Sprachkompetenz des Vaters blieb mir lange verborgen. Die öffentliche zweisprachige Schule musste erst erkämpft werden, der Weg von den Demonstrationen, an denen meine Eltern teilgenommen haben, bis zu ihrer Einrichtung war ein weiter. Erst in der Mittelschule kam ich mit der zweiten Landessprache in Berührung – nicht etwa im Unterricht, das nie. Es war die Kontaktlinse / kontaktna leča, die mich zum ersten Mal in das slowenische Gymnasium führte. Wirkliche Kontakte, Begegnungen ergaben sich aber erst später, als ich als Journalistin Menschen kennen lernte, denen Zweisprachigkeit Programm war und Orte besuchte, die ihnen Heimat boten. Die eigene Einsprachigkeit aber blieb, wenn sich auch über die Jahre Kompetenzen in verschiedenen Fremdsprachen entwickelten – Slowenisch war nicht unter ihnen.

Erst eine wissenschaftliche Tagung in Stadtschlaining im Burgenland läutete eine Wende ein. „Einsprachigkeit ist heilbar“ lautete das Credo eines Referenten dort. Und was heilbar ist, muss doch einer Krankheit gleichkommen. Es folgten Jahre der Therapie. In verschiedensten Sprachkursen, an der Universität, der Pädagogischen Akademie, in der Landesregierung und privat. Der Vokabelschatz stieg, die grammatikalischen Nebel begannen sich zu lichten, das Verstehen begann zu wachsen, das Sprechen aber wollte nicht gelingen, die Einsprachigkeit blieb.

Ein Forschungsprojekt führte mich schließlich in die Welt des zweisprachigen Unterrichts. Das Minderheitenschulgesetz von 1988 hatte gravierende Veränderungen in die Klassenzimmer gebracht. „Teamteaching“ hieß das neue Zauberwort, das zweisprachig und einsprachig qualifizierte Lehrerinnen und Lehrer in Tandems führte, die manche von ihnen verzweifeln oder krank werden ließ. „Es war einfach nicht mehr auszuhalten …“ hatte einer von ihnen gesagt, der damals seine Schulkarriere beendete. Was blieb, waren hingegen die zweisprachigen Schulen selbst, und die Anmeldungen zu ihnen begannen zu steigen. Dies nicht zuletzt dank vieler Anmeldungen von Kindern, die aus einsprachigen Familien stammten. Wie Luca.

Luca

Lucas Weg durch Kärntens Bildungsinstitutionen begann im öffentlichen zweisprachigen Kindergarten, es folgte ein Besuch der öffentlichen zweisprachigen Volksschule in Klagenfurt. Deren Ende stellt ihn vor eine zentrale Entscheidung. Gymnasium, so viel war klar – aber welches? Luca entschied sich für das slowenische Gymnasium. Genaugenommen heißt es BG und BRG für Slowenen. Diese Bezeichnung schließt allerdings die vielen Sloweninnen sowie all jene, die sich weder ausschließlich als Slowenen/Sloweninnen, noch als Deutsche fühlen wollen, weil sie finden, dass es nur Kärntnerinnen und Kärntner geben sollte, aus. Sein Weg durch die Mittelschule führte ihn in eine Kugy-Klasse, in der drei Unterrichtssprachen (Slowenisch, Deutsch und Italienisch) einander in den verschiedenen Fächern abwechseln. Von Seiten der Schulleitung wurde Unterstützung versprochen – dennoch war es ein Wagnis.

Schulerfahrungen

Die slowenischen Ausdrücke für Senkfuß, Spreizfuß oder Plattfuß fanden sich in keinem gängigen Wörterbuch, wohl aber auf Biologie-Zetteln, die verteilt wurden (dort allerdings ohne Übersetzung). Auch einkeimblättrige und zweikeimblättrige Pflanzen galt es auf Slowenisch zu bestimmen. Unzählige Telefonate mit Eltern zweisprachiger Herkunft und unglaubliche Geduld und Unterstützung durch sie haben immer weiter geholfen, ehe wir das Internet als wertvolle Ressource für solche sprachlichen Herausforderungen entdeckten.

In der zweiten Klasse informierte Luca dann eines Tages eher nebenbei: „Seit heute spreche ich in der Schule Slowenisch“. Und seit dem auch immer besser. Dank der Schule und dank des Sportvereins, dank vielfacher privater wie gelegentlicher professioneller Unterstützung und dank des unerschrockenen Zugangs der Jugend in Konfrontation mit dem zunächst Fremden.

Sprachumgebungen

Nicht alle, die zweisprachig sind, sprechen mit Kindern, die sich auf dem Weg aus der Einsprachigkeit in ein zweisprachiges Leben befinden, slowenisch. Viele tun es der einsprachigen Angehörigen zu liebe nicht und vergessen darüber, wie essenziell es ist, Sprachen zu sprechen, wenn sie nicht nur geübt, sondern als alltäglich verinnerlicht werden sollen. Es galt Menschen um die Sprache zu organisieren, Ferienlager zu finden, in die auch Gleichaltrige reisen, Situationen herzustellen, in denen nicht nach Defiziten gesucht wird, sondern die zweite Sprache zum Alltag wird, unabhängig davon, ob jedes Wort gefunden und jeder Fall richtig dekliniert wurde.

Medien spielen eine wichtige Rolle im Leben von Jugendlichen. Das slowenisch-sprachige Angebot ist hierzulande aber denkbar knapp. Die einschlägige Wochenzeitung bewegt die Jugend naturgegeben nur in Maßen – dort, wo von ihr selbst die Rede ist, gelegentlich auch im Sportteil, oder anderen Spezialinteressen. Das wöchentliche Einstunden-Fernsehprogramm überzeugt zwar durch hohe mediale Qualität, lockt die Jugend aber dennoch nicht in Scharen zum allwöchentlichen Sonntagstermin. Und Radio? Eine weitgehend auf Musik reduzierte Quelle. Internet. Ja. Slowenisch? Nur selten, aber immerhin. Der eine oder andere Facebook-Eintrag gibt Hoffnung.

Zwei- und Mehrsprachigkeit – ein intergeneratives Wagnis

Die Bildungsschere bewegt. Sie lässt die Kinder der Gebildeten immer klüger werden, die Kinder jener, deren Bildungskarriere früher endete, absolvieren allerdings nur sehr selten höhere Schulen, als ihre Eltern es getan haben. Bildung ist erblich heißt es daher. Einsprachigkeit muss es nicht sein.

Die Frage bleibt aber immer noch bestehen: Wie können in Kärnten zweisprachige Kinder einsprachigen Familien entwachsen? Es muss ja nur einer Generation von ihnen gelingen. Dann wir die Sache einfacher, denn dann kann Sprache wieder vererbt werden. Sofern wir uns erfolgreich gegen jene wehren, die unter dem Titel der Verbote sprachliche Vernichtung betreiben wollen.


© zeitdokument / reinhard eberhart zum seitenanfang
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